Tagebucheinträge

Tagebucheinträge · 10. Oktober 2023
23 Uhr. Die Straße vor dem Haus ist leer. Die Straße ist Schatten. Ich sitze am Zeichentisch und gebäre Linien. Eine führt in den Tod, eine andere zerbricht meinen Körper. Die Sonne wird mich noch finden vor alledem, am nächsten Morgen, wenn ich wieder gesehen werde. Sie wird mich finden mit ihren gläsernen Augen. Jetzt sieht mich nur meine Phantasie. Ich verhülle ihre Nacktheit mit Nachtstoff, weich und gierig. Ich bin Mohn, der den Winter überlebt. Ich bin Passion im Morgengrauen....
Tagebucheinträge · 07. Oktober 2023
0.30 Uhr. Ich schreibe, unter dem dunklen Blatt der Nacht. Auf dem Tisch die Gedichte von Christine Lavant - der Wind über angenommenen Grablichtern, weich wie Weidenkätzchen. Christine geht durch das Zimmer. Sie ist Illusion und Vision zugleich. Vergangenheit fließt in den Raum und macht ihn fruchtbar. Ich suche nach Keimen, die neue Tage zeugen. Im Später werde ich über sie schreiben, über Christine. Sie ist ein junger Baum in meinem Herzen, der die Nacht besitzt. Ihr Hadern liebe ich...
Tagebucheinträge · 02. Oktober 2023
Immer noch im Zug. Ich sehe durch das Fenster in die aufkommende Stadt. Sie wächst durch den Waggon und fällt in meinen Schoß wie ein schöner Stein. Das Gewebe aus Mitreisenden löst sich auf in meinen inneren Monolog. Heute werde ich dir begegnen in den Spiegelungen weißer Schwäne im Herbst. Die Tage werden tiefer und riechen nach See und Glut.
Tagebucheinträge · 27. September 2023
2 Uhr nachts. Ich liege neben dir. Über uns die roten Vögel, die der Herbst färbt. Ich spüre den Flügelschlag deines Atmes auf meiner Haut und lese die Wärme deines Körpers. Dann dein Erwachen im Mondlicht. Du öffnest das Fenster in die Kühle über dem silbern wartenden Fluss. Wir hören die Frachter im Einklang mit den Sirenen. Ich lege das Schweigen meiner Hände auf deinen Rücken. Du sprichst von der Insel, die wir bereisen, im Mai. Doch vorher die karge Fläche des Winters. Wir...
Tagebucheinträge · 21. September 2023
3.30 Uhr. Der Schlaf liegt neben mir. Ich trinke Kaffee, zu früh, zuviel. Ich bin maßlos. Maßlos an der Frühe, maßlos an dem Zuviel. Maßlos das Zimmer, der Untergrund auf dem ich schreibe und zeichne, bevor ich mich dem Gewissen des Papiers aussetze. Das Unbestimmte an der noch verbleibenden Lebenszeit gibt mir die Kraft aufzustehen. Es ist wie ein kühler Engel, der schweigt. Allmählich öffnen sich die Augen des Tages. Ich klopfe den Sand aus meinen Illusionen, die übernächtigt sind....
Tagebucheinträge · 18. September 2023
4.00 Uhr morgens. Der Garten ist noch dunkel und gesichtslos. Ich lege ein weißes Papier über seine Schwärze und fülle es mit Wörtern, die ihm Gesicht geben. Nachher werde ich dieses Gesicht zeichnen und meine Geburt suchen, in den Linien. Noch liege ich im Meer der Stille wie die Goldfische im Winter unter dem Eis auf den Teichen. Langsam entdecke ich das Letzte in meiner Zeit. Ich stehe am äußersten Punkt meiner Weide, in der meine Spuren verbrennen. Bis auf weiteres Gesang. Zum...