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Tulpa. Andra Schwarz

Die Essenzen der Dunkelheit zirkulieren in diesen Gedichten von Andra Schwarz. Nicht nur in dem mit „Elephant in the room“ überschriebenen, des in einzelne Kapitel gegliederten Bandes. Hier in Form vor allem der psychischen Bedrängnis: „Ich sperre ihn ins Beinhaus, wo alte Schädel liegen. Du sorgst dich, / bringst Decken, gescheckte Wärme, heilige Kühe in meine Nähe, /“. Die Assoziationen sind atemberaubend in Farbe und Vielschichtigkeit ihrer Täfelungen. Das lyrische Ich ist niedergerungen von dem Dunst einer beschädigten Ruhe. Phantastisch die Verse und ungemein authentisch. Die Black Box des psychischen Leidens wird gläsern auf diesem Wege: „Sein Schatten ist zu groß für mich. Ich warte im Sumpffieber / in den Savannen auf Fatima, halbgar, ein loses Knochenbündel, / Hyänen geifern im Käfig: ihr Auge tödlich, aber du willst trösten,/“.

Die Wellenbewegungen immer neuen Mutierens legen einen charismatischen Rhythmus in die brillanten Gedichte. Das Thema der Krankheit – ist es eine Krankheit, eine Depression, die umtreibt? - kommt und geht in Schüben, möchte man sie unterstellen. Oder hat man es diesbezüglich einfach mit einer Phantasmagorie zu tun? Gekonnt allemal das Relief ihrer dunklen Sphären, das gern auch Tiere prägen. Sie dienen als Füllstoff einer hochpoetischen Materie: „im Fell ihr Glanz, Schnurrhaare und / Krallen, die sich an allem schärfen, / vor allem an meiner Vorliebe zu dir. // Wenn ich Zuflucht such, plustern sie sich, / rollen sich, tollen herum, jagen Schatten, / im Traum von Biestern umringt. //“. 

Das Spannungsverhältnis zwischen lyrischem Ich und der dark side of soul entlädt sich immer wider in gewaltigen Sprachbildern, die in Teilen an Gemälde von Hieronymous Bosch erinnern. So etwa in dem Zyklus „Limbus infantium“ mit all seiner Strahlkraft ins Dunkel. Nicht selten werden regelrecht Horrorszenarien gewählt in dieser Lyrik noire: „das herrschende element schwarzwasser in der kehle gräuelinge / im zeichen der jungfische einsame krabbentiere totgeliebte krebse /“. Im Wachstum und Anschwellen dieses Kapitels liegt das nachfolgende „Alb“ begründet, so scheint es. Man hat sich bereits wundgerieben an den scharfzüngigen Steinen, um nun nachtaktive Qualen zu bezeugen: „Im Halbdunkel beschleicht sie das Unwesen, / verschnürt ihre Kehle mit dreifachem Knoten, / zweierlei Gnaden im Blick, das Gefäß der Gabe unberührt. //“. 

Die Texte stehen in einem seltsamen Bann des Ausgeliefertseins, kommen daher wie Prinzen des Schreckens, die den Schutz ihrer Schlösser verloren haben, dabei glühen sie in einem makaberen Rot, das dem zu erduldenden Leidenschaft gibt, die sich auf die Lesenden überträgt. Das sorgt für einen ungewöhnlichen Lesegenuss, zwischen Gruseln, Begierde, Faszination des Entsetzens und Schönheit, Wohlklang. Hier für Ausgeglichenheit zu sorgen, ist eine besondere Kunst, die Andra Schwarz beherrscht. Deshalb wohl sind die Gedichte dieses exzellenten Bandes Lilien der Nacht, „Fleurs du Mal“ und es wäre ihnen zu wünschen, dass sie ihre Zeit überdauerten. Das Potential dazu haben sie. Das steht ganz außer Frage: „Im Rücken das taubengraue Ich verdrängt ihr Ebenbild. / Das amorphe Gespinst schmallippig und blind / gerinnt zum schwarzen Fleck.//“. 

 

 

 

Tulpa. Andra Schwarz. Poetenladen Verlag, Leipzig 2023

 

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