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Heimwehe. Werner Weimar-Mazur

 

Die Verse von Weimar-Mazur erinnern in ihrer Schönheit und Contenance an karmesinrotes Herbstlaub, auf das sich Raureif gelegt hat. Es gibt eine eingängige Struktur, die nie ins Kryptische fällt und ohne Umschweife arbeitet. Dabei ist das lyrische Ich mit seiner Geliebten auf dem Weg zwischen Wanderschaft und Verortung zwischen „isenheim“ und „bosporus“ etwa. So werden in die Verästelungen des Schauens Räume gelegt wie Organe eines Körpers Heimat, „heimwehe“. Das gelingt mit diesen lyrischen Gesängen in freien Versen in ganz imponierender Weise: „zwischen häusern einer stummen vorstadt / und fernen dörfern eines felsengebirges am horizont / schwappten verse über die dächer / in einer fremden sprache / mit dem rauch der kamine / stiegen die wörter auf in die wolken /“. Alltagsszenen, Landschafts- Natur- und Städteentwürfe erscheinen wie schöne, geöffnete Muscheln. Das Leseerlebnis mäandert zwischen den Zeitaltern und Epochen. Dabei wird die Gegenwart als Trugstoff offenbar, wenn von „herzen und ammoniten“ im selben Atemzug die Rede ist, in dieser eindrucksvollen, dichten Parade von Bildern.

 

Wer sich auf Weimar-Mazurs Lyrik einlässt, bewegt sich auf poetisch hochwertigem Parkett. Das steht ganz außer Frage: „ruhte meine hand / auf deiner brust / spiegelte sich der atem / der möwen / im licht / “ Oder „gehüllt in den weihrauch des sommers / zerfloss die stadt in verse / an einem nachmittag / wundersam wild / schmiegten sich ihre straßen aneinander /“.

 

Die Gedichte ziehen wie die Schönheit von Antilopen durch die Steppen der Welt, im Spiel mit dem Sinn ihrer Duldsamkeit. Ein gereifter Dichter schreibt hier, ein Schauender, ein Sezierender, scheinbar ungebrochen, trotz höchster offenkundiger Sensibilität, der eine überaus klare Sprache findet auch für das surreal anmutende. Es wird zum Ventil, wo die unmittelbare Erfahrbarkeit nicht mehr ausreicht. Mazur scheint bemüht, hier obendrein die Grenzen elegant zu verwischen. Vielleicht um die einseitige Betrachtung der Wirklichkeit in Zweifel zu ziehen: „war das eis gebrochen / zerrannen flüssigkeitskristalle zwischen deinen fingern / schwebten fische über die anomalie des wassers // stürzten wir uns in liebesgebiete / jeder in ein anderes / bis die nächte ausuferten in blut /.“ Nicht nur die Exkursionen in die Zweisamkeit erinnern oftmals ein wenig an Fantasy: “lag dein gesicht zwischen zwei monden / zerfloss schnee / waren die konturen deiner augen / einmal licht einmal nacht /“. Das macht die Lektüre dieser Gesänge und oder Gedichte immer wieder auch sehr spannend und zum besonderen Texterlebnis, das haften bleibt.

 

Einen herrlichen, poetischen Gruß am Ende, quasi als überraschendes Nachwort zu nehmen, hat der Dichter José F. A. Oliver verfasst. Ein Schlüssel zum Verständnis, eine Hommage, aber auch ein eigenständiges, wunderbares Gedicht, wohl alles drei trifft zu und erfreut: 

„nicht nur sonntags verwandere ich mich in einen M:azurleser.“.

 

 

 

 

Heimwehe. Werner Weimar-Mazur, edition offenes feld, Dortmund 2022

 

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